Wenn der Dienstherr einem Arbeitnehmer kündigt und ihn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung des Gehalts freistellt, kann das zu einer Doppelbelastung führen:
Grundsatz des Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 BGB)
Wird der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber freigestellt, gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug. Das bedeutet konkret, dass er weiterhin das Gehalt zahlen muss, auch wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitet.
Anrechnung anderweitigen Verdienstes (§ 615 Satz 2 BGB)
Nimmt der freigestellte Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist eine neue Arbeit auf, muss er sich das dort verdiente Gehalt auf seine alte Vergütung anrechnen lassen. Ist der neue Job schlechter bezahlt, muss der Dienstherr nur die Differenz zahlen.
Das Problem des Falls: Lehnt der Arbeitnehmer böswillig eine neue Tätigkeit ab, könnte ihm dieses fiktive Einkommen ebenfalls angerechnet werden.
Risiken für den Dienstherrn
- Freistellung mit Gehaltsfortzahlung: Wenn der Arbeitnehmer eine neue Stelle findet, spart der Dienstherr Geld.
- Freistellung ohne Anrechnungsklausel: Falls der Dienstherr in der Freistellungserklärung nicht ausdrücklich regelt, dass ein anderweitiger Verdienst angerechnet wird, könnte das zu einem finanziellen Nachteil führen.
- Böswilliges Unterlassen schwer nachweisbar: In der Praxis ist es oft schwierig, nachzuweisen, dass ein Arbeitnehmer sich absichtlich keinen neuen Job gesucht hat.
Der Fall: Ein Mann war seit November 2019 beschäftigt, zuletzt als Senior Consultant für eine monatliche Vergütung von 6.440 € brutto. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. März 2023 ordentlich zum 30. Juni 2023 und stellte den Consultant unter Anrechnung des Resturlaubs unwiderruflich von der Arbeitsleistung frei. Gegen die Kündigung klagte der Consultant und gewann letztendlich in der zweiten Instanz.
Das Problem zwischen März 2023 und Juni 2024
Nach Zugang der Kündigung meldete sich der Consultant Anfang April 2023 arbeitssuchend und erhielt von der Agentur für Arbeit erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Arbeitgeberin übersandte ihm sogar schon im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 von Jobportalen oder Unternehmen online gestellte Stellenangebote, die nach ihrer Einschätzung für den Consultant in Betracht gekommen wären. Auf 7 davon bewarb sich der Kläger, allerdings erst ab Ende Juni 2023.
Arbeitnehmer fordert Vergütung
Nachdem die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer für Juni 2023 keine Vergütung mehr gezahlt hatte, hat er eine weitere Klage auf Zahlung des Arbeitsentgelts eingereicht. Die Arbeitgeberin hat eingewendet, der Arbeitnehmer sei verpflichtet gewesen, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Weil er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 Satz 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei ihr bezogenen Gehalts anrechnen lassen.
Das Urteil: Der Mann erhielt für Juni 2023 sein Geld. Denn die Arbeitgeberin befand sich aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug und schuldete die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist. Nicht erzielten anderweitigen Verdienst muss sich der Arbeitnehmer nicht nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Der durch eine fiktive Anrechnung von nicht erworbenem Verdienst beim Arbeitnehmer eintretende Nachteil ist nur gerechtfertigt, wenn dieser wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben ist. Hier hätte jedoch die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist auch weiter beschäftigen können. Die Arbeitgeberin hatte nicht dargelegt, dass ihr diese Beschäftigungspflicht unzumutbar gewesen wäre. Deshalb bestand auch für den Arbeitnehmer keine Verpflichtung, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen.